Hamelwördenermoor – einer von 14 Kehdinger Moororten
Ein Blick in die Entstehung des Kehdinger Moores
Vor 10000 Jahren: Riesige Schmelzwasserströme haben nach dem Abklingen der letzten, der 3. Eiszeit, das Urstromtal der Elbe bis zu 20 m tief und 20 km breit ausgeräumt. Mit zunehmender Erwärmung breiten sich Laubwälder aus. Das kilometerdicke Eis über ganz Nordeuropa hatte riesige Wassermengen der Nordmeere gebunden. Die Nordsee füllt sich wieder und vor etwa 8000 Jahren hat sie die heutige Küstenlinie erreicht. Nun brachte das Meer besonders in stürmischen Zeiten Sand und Schlick zurück in den breiten Elbtrichter, Sandbänke hauten sich auf, in Stromnähe etwas gröbere Sande, abseits mehr schluffige. feinsandige Schichten (Schwemmsand.
Über diesem Schwemmsand lagerte sich in weiteren vielen 100 (Jahren die von Landwirten so geschätzte meterdicke Schicht fruchtbaren Kalkmergels A. Diese landläufig sogenannte ,.Kuhlerde“ ist Zersetzungsrest von Abermillionen winziger Meerestierchen, die heim Aufeinandertreffen von Meeres- und Binnenwasser abstarben. Diese Bedingungen waren in weiten Teilen Kehdingens derzeit gegeben. Die Wiesen und Weiden links und rechts der Kreisstraße vom Dösemoor bis Stade-Schölisch haben ihre offenkundige Fruchtbarkeit von dieser Kuhlerde. Sie wurde früher aus 3 m tiefen Kuhlen mühsam per Hand und später mit Kuhlmaschinen gefördert und gleichmäßig verteilt. Dort. wo das Watt der Elbe hoch genug aufgeschlickt war. begannen Reth und Schilf zu wachsen. Das wiederum beschleunigte die Schlickablagerung, besonders am Ufersaum von Elbe und Oste.
Vor 6000 Jahren etwa bildete sich die „Kehdinger Mulde”, das Moor fing an zu wachsen. Zunächst solange noch gelegentlich Meerwasser in diese Mulde eindrang. bildete sich Schilftorf (Darg), dann entstand in einem Jahrtausend etwa der stark zersetzte Schwarztorf (Schw,erztorf (Glockenheide. Besenheide). In den letzten Jahrtausenden breiteten sich Wollgräser und Torfmose aus, der helle Moostorf legte sich in großer Mächtigkeit (bis zu 7 m im Süden) über die Kehdinger Mulde. Das größte Marschenmoor Norddeutschlands von Stade bis Oederquart in einer Länge von 25 km und einer Breite bis zu 8 km war entstanden.
Die Nutzung des Moores ließ jedoch noch auf sich warten, In der Marsch dagegen haben Grabungen in Assel-Ritsch erste Siedler an Prielen in Elbufernähe weit vor Chr. nachgewiesen Die mittleren Wasserstände jener Zeit lagen fast 3 m unter dem heutigen Niveau, das bedeutete, die Menschen konnten auf damals noch nicht stark aufgeschlickten Prielufern von einem Meter unter NN ohne besonderen Schutz siedeln. Sie lebten vom Fischfang, hielten Schafe und Kühe und pflegten schon Ackerhau. Holz wuchs derzeit reichlich, Torf wurde nur in geringer Menge, vornehmlich zum Feuer-machen verwendet. Die breiten Priele teilten in jener Zeit das Kehdinger Land noch in größere Inseln oder Halbinseln aut. Mit dem Meeresspiegel stieg im Lauf der Jahrhunderte auch die Höhe des Landes, nicht nur kalkreicher Nordseesclick machte die Marsch so fruchtbar, auch das Oberwasser der Elbe brachte nährstoffreichen Lehm aus dem fernen Böhmen und den Mittelgebirgen mit. Der im frühen Mittelalter beginnende Deichbau schuf dann mit sicherer gewordenem Getreidebau die Grundlage für den wachsenden Wohlstand des Landes. Die Bevölkerung wuchs, ebenso der Landbedarf. Nach 1500 sind wohl erste Siedler, die nun systematisch Torf abbauten, am Moorrand vom jeweiligen Marschhof aus seßhaft geworden. Bützflether¬moor wird 1 583 erstmals urkundlich erwähnt. Pest und Not und die Hungerjahre des 30jährigen Krieges von 1618 – 1648 haben die weitere Besiedlung dann verzögert, erste verläßliche Karte aus der Zeit um 1680 zeigen aber deutliche jene Siedlungslinie am Übergang vom Hochmoor zum Kehdinger Sietland, die in heutiger Zeit im wesentlichen zur Trasse der Kreisstraße von (Oederquart-Kajedeich über Ritschermoor bis Stade-Schulisch geworden ist.
Seit altersher hatten die Besitzer des Marschlandes Anspruch auf das anschließende Moorland. Aus wirtschaftlichem Eigeninteresse siedelten sie verdiente Tagelöhner am Moor an, die sich Im Laute der Generationen dann selbständig machten, die ihren Bezug zum Huf und zur Marsch jedoch behielten. So hat denn auch jeder alte Marschort sein entsprechendes Siedlungsgebiet im Moor, seinen Moorort. Diese haben eine Längsausdehnung von 1,5 bis 3 km und reichen im Hochmoor bis zur Grenze. wie wir im Norden sagen, bis zur Scheidung, wie sie im Süden treffender bezeichnet wird. Treffender deshalb, weil sie als Wasserscheide zwischen Elbe- und Osteeinzugsgebiet vor etwa 250 Jahren nach langem Streit festgelegt wurde.
In der gesamten Deutschen Bucht, besonders aber im Elbtrichter hatte diese Flut schwere Schaden angerichtet. Am folgenreichsten war sie jedoch für das Kirchspiel Hamelwörden. Ein schwerer Grundbruch hatte die Wischhafener Schleuse – etwa in der Höhe vom heutigen Café Schwark gelegen – weggerisu n. Duft h eine 100 m breite Lücke strömten riesige Wassermengen ins Land. Der im Bereich Wischhafen recht hoch liegende Schwemmsand bot dem Strom nur geringen Widerstand. Weitere hohe Fluten im Februar 1718 und im April zerstörten erste schnelle Versuche. die Bruchstelle zu schließen. Diese war inzwischen 14 m lief ausgekolkt, die Wischhafener Bracke war entstanden. Um sich vor dem täglich neu einströmenden Wasser zu schützen, errichteten die Südkehdinger den sogenannten Defensionsdeich Bützflethischen Teils, vom Wolfsbruch bis ins Hochmoor, die Nordkehdinger bauten in einem ähnlichen Kraftakt den damals sogenannten Freiburger Defensionsdeich von der Hafenstraße in Wischhafen beginnend bis ins Hochmoor. Dieser Schutzdeich – heute ein beliebter Wander¬weg – endet bei der Zimmerei Giese. Er fand Anschluß an das damals etwa 4 m über NN aufgewachsene Hochmoor. Alle Versuche, den Deich in den Folgejahren zu schließen, wurden von schweren Herbststürmen 1719, 1720 und 1721 zunichte gemacht. Die Einheimischen hatten ihr Land und ihren Besitz längst aufgegeben – eine Entschädigung gab es zu der Zeit noch nicht. Ab 1719 versuchte das Land Kurhannover
das spätere Königreich – den Deichbruch zu schließen, aber ohne Erfolg.
Das Kirchspiel Hamelwörden blieb geteilt, Hamelwördenermoor war halbiert, Wischhatenermoor ganz verschwunden und Wolfsbruchermoor um die Strecke bis zur Kurve beim Hof Sölter kleiner geworden. Als es nach werteren 20 Jahren endlich gelang, die entstandene Bracke mit dem Ketelseel-Deich und einer neuen Schleuse beim (.Gasthaus Lührs (Blohmen-Schleuse) abzudichten, waren Neuland und Neulandermoor geboren. Die Neubesiedlung des endlich wieder geschützten Gebietes begann, es wurde von dem königlichen Amt mit Sitz in Neuland – das jetzige Anwesen Karl Hussfetdt – verwaltet und eine eigenständige Gemeinde Neuland gebildet.
Die 1717er Weihnachtsflut hat die Entwicklung unserer engeren Heimat stark, meist negativ beeinflußt. Der Übedebenswille und das Zusammengehörigkeitsgefühl wurden jedoch offenkundig gefördert. Das Selbstbewußtsein der drei hart getroffenen Moororte ist seither besonders ausgeprägt und findet seinen Niederrschlag z. 13. in der Gründung der Schützenvereine Neulandermoor im Jahre 1906. Wolfsbruchermoor und Hamelwördenermoor 1924. Dabei schien eine Vereinsgründung im Hamelwördenermoor zwar besonders begründet, aber zugleich weniger dringend: Im Vorbericht zum Gründungsprotokoll steht nämlich der Hinweis auf ein damals schon etwa 100 Jahre alles Scheibenschießen, das in Hamelwördenermoor durchbefuhrt wurde und schon mit einem Volksfest verbunden war.
Offenbar hat dieses Scheibenschießen seine Wurzeln in einer breiten nationalen Bewegung, die nach der bedruckenden „Franzosenzee“ (1803 – 1813) durch die deutschen Lande ging. Die Männer sollten und wollten sich im Gebrauch der Waffen üben. Geschossen wurde über eine Distanz von 100 m auf eine 3 cm dicke gusseiserne Scheibe mit 12 eingekerbten Ringen. Das Zentrum, die war ein massiver Eisenkegel, der ähnlich wie die Max-Scheibe der Freiburger Schützengilde über ein Hebelwerk den Treffer anzeigte. Die übrigen Ringe mußten allerdings von Hand angezeigt werden. Der Anzeiger, so ist überliefert, saß geschützt hinter einer mit zähem Binsenheu hochbeladenen Schubkarre. Dieses bot einer verirrten schweren Bleikugel offenbar hinreichend Widerstand, von Unfällen ist jedenfalls nichts überliefet.
Dank seiner günstigen Verbindung über den Köckweg zum Kirchort Hamelwörden und seiner Schlüssellage auf dem einzig nach der Flut 1717 verbliebenen Landweg von
Nord- nach Südkehdingen und nach Stade nahm Hamelwördenermoor eine gute Entwicklung. Handwerker und Händler prägten zunehmend das Ortsbild, profitierten sicher auch von der vom Königreich Hannover massiv betriebenen Wiederbesiedlung des Neulandermoores. Um 1800 wird schon von 75 Neusiedlern berichtet. Der reiche Kindersegen dieser meist jungen Familien machte dort schon bald den Bau einer Schule erforderlich. 1899 konnte dann endlich die Schule im Hamelwördenermoor eingeweiht werden.